Aufstieg zum Seblengrat

Aufstieg zum Seblengrat

Eine relativ belanglose Überschrift für eine denkwürdige Bergtour die alternativ auch die folgenden Titel tragen könnte: „De Wäg“ oder „hundertzweiundachtzig vierzig“ oder „Mischi, der Wanderer, ein Held wie kein Anderer“ oder gar „die Bekanntschaft des jungen Peter T. mit dem Drahtseil“. Doch halt, nichts überstürzen. Beginnen wir doch die Geschichte ganz von Anfang an.

Am Wochenende vom 28./29. September 2002 begaben sich 28 Sportingler nach Braunwald um die schöne Glarner Bergwelt zu entdecken. Der Wetterbericht hatte gutes Wetter vorausgesagt, doch jeder war skeptisch, den während der Woche hatte es erstmals in diesem Jahr, bis in die Niederungen geschneit. Im Vorfeld habe ich ab und zu die Webcam auf der Homepage von Braunwald.ch konsultiert und sah nur immer grau in grau und Schnee und schlechtes Wetter. Auf meine Feststellung, dass wir wohl im Schnee wandern werden, meinte Roger Widmer (er und Vater Walti Widmer waren die Organisatoren) : „sind wir Männer oder Memmen ?“ Eine Aussage die später durchaus ihre Berechtigung hatte.

Also, am Samstag Morgen trafen sich 25 Sportingler am Bahnhof Dietikon und reisten frohen Mutes gen Zürich. In Zürich schlossen sich dann noch 3 Nichtdietiker der Gruppe an und gemeinsam bestieg man den 08:10 Uhr Zug nach Ziegelbrücke. Zwei Sekunden nach der Abfahrt in Zürich verteilte Dani Peter traditionsgemäss jedem Teilnehmer ein Gläschen Weisswein, um auf ein gutes Gelingen der Bergtour anzustossen. Unterwegs ergriff Roger Widmer das Wort und erläuterte kurz den Ablauf der Tour. Die Zimmerliste, die er verteilte, war so klein geschrieben, dass man schon jetzt Angst haben musste, das wohl einige Brillenträger ihr Zimmer nie finden würden. Aber es hatte dann doch geklappt. In Ziegelbrücke mussten wir in den Regionalzug nach Linthal umsteigen. In Luchsingen, ein paar Stationen vor Linthal stieg die erste Gruppe von sechzehn Powerwanderern aus. Die Gruppe der zwölf Easywanderer blieb im Zug bis Linthal. Ziel war, dass sich beide Gruppen schlussendlich auf dem Gummen treffen. Die Powerwanderer nach einer etwa dreieinhalbstündigen Wanderung via Oberblegisee und den Seblengrat. Die Easywanderer von Braunwald aus wahlweise mit der Sesselbahn oder zu Fuss.

Für die Powerwanderer hiess es in Luchsingen erst mal zur Talstation der Brunnenbergbahn zu marschieren. Mit dieser offenen Gondelbahn konnten jeweils sechs bis sieben Wanderer auf den Brunnenberg transportiert werden. Nur nicht runterschauen, war mein Motto. Nach drei Fahrten waren dann alle oben, wo wir um 10:15 die eigentliche Wanderung begannen. Bei etwas kühlem, aber trockenem Wetter nahmen wir die 300 Höhenmeter zum auf 1422 m ü.M. gelegenen Oberblegisee unter die Füsse. Den See erreichten wir nach einer Stunde und legten erst mal eine kurze Trinkpause ein. Je nach Lage hatte es auf dieser Höhe noch Schnee. Roger erklärte, das wir in ca. einer halben Stunde bei einem geschlossenen Restaurant Zmittag essen werden. Als wir dann aber sahen, dass dieses Restaurant eher im Schatten liegen wird, machten wir es uns schon nach einer viertel Stunde, an einem schönen Sonnenhang bequem. Hier verpflegte sich jeder aus dem Rucksack und die Experten inspizierten per Feldstecher den Aufstieg zum Seblengrat. Dieser Aufstieg war voll im Schnee gelegen und wir waren uns nicht recht sicher ob wir diesen Weg wählen sollten oder einen weniger gefährlichen, der aber rund zwei Stunden länger war. Schlussendlich beschlossen wir den Aufstieg via Schneeweg zu wagen. Nach einer halben Stunde Mittagsrast wanderten wir weiter. Es ging leicht abwärts zur Alp „Mittler Stafel“ von dort dann wieder aufwärts zur Alp „Ober Stafel“. Mittlerweile wanderten wir im Schnee. Auf „Oberstafel“ (1585 m ü.M) machten wir einen Halt, damit die ganze Gruppe wieder zusammen war. Roger erklärte das wir jetzt zusammen bleiben sollten, denn es sei schwierig den richtigen Weg zu finden. Wanderwegzeichen waren wegen dem Schnee keine mehr zu sehen. Beim rekognoszieren hätten er und Walti den richtigen Weg auch nicht auf Anhieb gefunden. Kurz vor 13.00 Uhr machten wir uns auf die Socken und nahmen die 260 Höhenmeter auf den Seblengrat (1845 m ü.M.) in Angriff. 260 Höhenmeter die wohl niemand der Gruppe so schnell vergessen wird. Schon nach kurzer Strecke bog Roger links ab und sagte „ich glaube hier geht’s lang“. Tja, denkste. Es ging dort schon lang, aber es war kein Weg. Schon bald verlor sich der vermeintliche Weg im Schnee. Weit und breit keine Fussspuren von anderen Wanderern. Immer wieder hörten wir die Worte: „Ich glaub det obe (oder det äne) isch de Wäg“. Wandern war es schon lange nicht mehr. Aber was ein richtiger Sportingler ist der kehrt niemals um. Wobei zu sagen ist, das Runter wohl noch gefährlicher gewesen wäre als Rauf. Das Gelände war äusserst mühsam. Sehr steil, knie- bis hüfttief verschneit (Schattenhang), voll von vom Schnee runtergedrückten Gebüschen und Farnen auf welchen man super lässig ausrutschen konnte. Und im Normalfall (ohne Schnee) wohl einfach eine unpassierbare Geröllhalde. Aber irgendwo weiter oben musste doch dieser verdammte Weg sein. Roger kämpfte sich vorneweg durch den Schnee. Immer wieder rutschte einer aus. Zum Glück konnte man sich manchmal an den Gebüschen festhalten und raufziehen. Grosse Absturzgefahr bestand aber eigentlich nicht. Das Gefährliche waren die zugeschneiten Löcher zwischen den Felsbrocken. Immer wieder rutschte man aus oder schlipfte in ein Loch. Galgenhumor machte sich breit, die Sprüche vielen im 10 Sekunden Takt. Dani Peter z.b. war sehr glücklich das er nicht hohe Wanderschuhe, sondern halbschuhmässige Trekkingschuhe dabei hatte. Auch Hermann Grummel war ein Trekking-Beschuhter. Als nach ungefähr einer halben Stunde mal wieder der Ruf „ich glaub det isch dä Wäg“ durch die Bergwelt hallte, glaubte niemand mehr so recht daran. Mittlerweile glaubte niemand mehr an einen Weg, den er nicht selber sah. Von vorne nach hinten wurde die Nachricht durchgereicht, dass es sich diesmal aber nicht nur um ein Gerücht zu handeln scheint. Hoffnung machte sich breit. Und tatsächlich, dort drüben, gleich unter der Felswand schien ein Weg durchzugehen. Nach weiteren zehn Minuten durchkämpfen, befanden wir uns tatsächlich auf einem offiziellen Schweizer Wanderweg. Dort nochmals zehn Minuten aufwärts und wir standen glücklich, erschöpft und mit nassen Füssen und Hosen auf dem Seblengrat. Roger informierte, dass der eingeschobene Adventure-Trip gratis war. Wenigstens das.

Vom Grat aus ging’s noch eine halbe Stunde mehr oder weniger gerade aus, auf einem mehr als weniger schneematschigen Weg (Sonnenseite) zur Bergstation Gummen. Dort im Bergrestaurant trafen wir wieder auf die 12 Easywanderer welche auf uns gewartet hatten. Zum draussen sitzen war’s zu kalt (oder wir zu nass). Jeder zog sich trockene T-Shirts und Hemden an und dann ein Bier oder Glas Wein rein. Hermann Grummel entdeckte einen Veltliner namens Grumello, welchen er natürlich sogleich probieren musste.

Zwei Tage später. Ich finde Zeit den Bericht fertig zu schreiben und lese ihn nochmals durch. Ich merke: „Mann, wenn du weiter so ins Detail gehst, kann es noch Jahre dauern bis der Bericht fertig wird.“ Habe mir wohl zuviel Notizen gemacht, während der Tour. Ich beschliesse im Telegrammstil weiterzufahren.

Die zweite Wandergruppe unter der Führung von Walti hat auf ihrem Weg zur Bergstation Gummen per Zufall Dani Widmer in der Braunwaldbahn getroffen. Im Bergrestaurant hat Köbi ein Gemspfeffer gegessen der ihm gar nicht geschmeckt hat, nach seiner Reklamation beim Wirt ging er kurzerhand auf die verschneite Sonnenterrasse und schaufelte diejenige frei.

 

Stau an einer kritischen Stelle

Stau an einer kritischen Stelle
Zur Gallerie „Bergtour 2002 (2. Tag)“

Später trafen sich alle im zur Unterkunft gehörendem Hallenbad des Panorama-Hotels Waldhaus. Eigentlich gehörte nicht das Hotel zur Unterkunft, sondern unsere Unterkunft (Boarder’s Inn) zum Hotel. Das Planschen im Hallenbad tat den müden Knochen gut und frisch geduscht und aufgewärmt trafen sich alle „na dis na“ in der Hotelbar zu einem Aperobier vor dem Nachtessen. Das Nachtessen war grundsätzlich gut, aber auch sehr übersichtlich. So übersichtlich das viele mit knurrendem Magen vom Tisch gingen. Beim Getränke einkassieren dann der nächste Hammer. Die Serviertochter (Lehrmeitli) verlangte tatsächlich, ernsthaft und ohne Rot zu werden von jedem von uns acht am Tisch je 182.40 (einhundertzweiundachtzig Franken und vierzig Rappen). Wir hatten 5 Flaschen Wein, 2L Mineral, 6 Cafés und zwei Coretto zu bezahlen. „Äh Frölein, findet sie das nöd ächli viel ?“ „Doch, ich has au dänkt, aber ich han’s äxtra mit dem Tascherächner grächnet.“ „Ja aber Frölein, überleged sie doch mal, das cha ja gar nöd sie das mir für über Tuusig Stutz trunke händ.“ „Ich han’s aber äxtra mit dem Rächner grächnet. Wänns Sie wänd hol ich de Rächner und mir rächneds zäme namal na.“ „Ja, bitte gärn.!“ Je 19.60 mussten wir nachher noch bezahlen. Die heutige Jugend, kein bisschen Vorstellungskraft und ohne Relationen. Tja, irgendwann, nach ein paar Bier-, Jass-, Diskussions- und Jöggelikastenrunden hat jeder sein Bett gefunden. Am nächsten Morgen traf jeder rechtzeitig zum Frühstück ein. Auch das Frühstück war von der spartanischen Sorte. Es war zwar so bestellt, aber da der Nachschub nicht klappte kam es einem noch spartanischer vor. Dani sorgte mal wieder für Aufruhr weil er als einziger nicht auf dem gleichen Platz wie am Abend sass. Das löste natürlich eine Kettenreaktion aus und verwirrte die noch schlaftrunkenen Gesellen. Es war prächtiges Sonnenwetter und ein herrlicher Tag bahnte sich an. Zuerst machten wir mal einen kleinen Spaziergang im sonnendurchfluteten Dorf. Der Himmel war blau und die Schneeberge glitzerten in der Sonne. Einige machten einen ausgedehnten Spaziergang, schon fast eine kleine Wanderung. Andere genehmigten sich ein Bierchen auf einer Sonnenterrasse.
Zurück im Hotel hiess es packen und die Wanderschuhe anschnallen. Männiglich war froh, dem Hotel den Rücken kehren zu können. Roger informierte über die Fortsetzung der Tour. Und schilderte uns seine Reklamation beim Hotelier. Punkt 10.45 Uhr war Abmarsch. Heute wanderten beide Gruppen zusammen. Das Ziel der einen war das Dorf Urnerboden. Diejenigen welche von ihren Füssen nicht mehr so weit getragen werden, mussten nicht bis ins Dorf Urnerboden aber zumindest bis auf den Urnerboden runter. Optimal für eine Wandergruppe mit unterschiedlich schnellen Wanderern. Nach einer Stunde geradeaus wandern, gab’s Mittagsrast bei der Bergbeiz Nussbühl. Ein paar assen im Restaurant Etwas, andere verpflegten sich etwas Abseits am Wegrand unterhalb einer Kuhweide aus dem Rucksack. Ein Jeder war mindestens einmal in Alarmbereitschaft um mit dem ausgepackten Essen und dem Rucksack zu flüchten. Wir hatten Angst davor eine Kuh setze einen Fladen und es spritzt einem voll auf den Rucksack und das Essen. Der Wegrand an dem wir rasteten, war ziemlich steil und oben in der Wiese graste eine Kuh mit dem Ar… zu uns. Nach einem Bier oder Cafe im Beizli, wanderten alle wieder gemeinsam los. Der Weg stieg an und wurde enger und matschiger. An einer Stelle ging es über nassen glitschigen Felsen. Die Stelle war mit einem Drahtseil gesichert und konnte nur immer von einem passiert werden. Irgendwann war Peter Tonolla an der Reihe. In der einen Hand lässig seine beiden Stöcke, die andere Hand am (nichtgespannten) Drahtseil, trat er auf den Felsen raus. Schwupps, und schon lag er am Boden, rsp. hing mit der einen Hand am Seil. Unter ihm ging’s 800 Meter gerade das Loch runter. Stop, das ist ein bisschen übertrieben. Aber so rund 10 Meter wäre er schon den Fels runter geschliddert, wenn er sich nicht hätte halten können. Die Sache ging dann glimpflich zu Ende und Peter konnte gerettet werden. Der Weg ging weiter bergauf. Mischi’s innerer Schweinehund machte sich immer mehr bemerkbar. Aber tapfer kämpfte er sich den Berg rauf. Wen Wale wandern. Am höchsten Punkt, machten wir dann wieder einen kurzen Rast. Als die letzten auf der Bergwiese eintrafen, marschierten die ersten wieder los.

Von jetzt an ging der Weg geradeaus und bergab. Irgendwann waren wir unten am Anfang des Urnerboden. In der Ferne blinkte die Kirche von Urnerboden im Sonnenlicht. Diese Kirche war unser Ziel. Der Flache Weg ging durch malerisches Gelände der Linth entlang. Der Weg zog sich und zog sich. Wir hatten das Gefühl die Kirche kämme nicht näher. Um 15.15 Uhr mussten wir im Dorf sein um rechtzeitig mit dem Postauto loszufahren. Und schliesslich wollten wir noch ein verdientes kühles Bier trinken vor der Abfahrt. Vorneweg marschierte Albert Steiner. Die Kirche kam nicht Näher. Albert zog das Tempo an und wir sausten durch die Landschaft. Mischi musste dem Tempo Tribut zollen und gab den Kampf auf halber Strecke bei einem Restaurant auf. Logisch, sonst hätte er sicher nicht aufgegeben. Nach dem Schlussspurt nahmen wir Punkt 14.55 Uhr den ersten Schluck Bier. Ah, das tat gut. Mit dem Postauto ging’s nach Linthal. Jeder genoss die letzten Blicke auf die herrliche Bergwelt rund um den Urnerboden. Unterwegs lassen wir ein paar Fremde, Mischi beim Restaurant und die zweite Gruppe am Anfang des Urnerbodens auf. Um 16.12 Uhr fuhr der Zug in Linthal Richtung Ziegelbrücke ab. Dort umsteigen und weiter nach Zürich und Dietikon. Zwei erlebnisreiche und schöne Bergtage gingen zu Ende.

Walti und Roger Widmer ein riesen „TORRO OLÉ“ für die super Organisation.

„el presidente“